« zurück Reinhard Knodt Der schöne Raum – Vortrag vor den Freunden Triesdorfs e.V.,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, herzlichen Dank für Ihre Einladung und gleich eine geringfügige Korrektur der Ankündigung. Ich werde Ihnen keinen Vortrag „über“ Triesdorf halten - das kennen Sie besser als ich. Aber ich will versuchen, mich mit einigen Überlegungen an Triesdorf anzuschließen und es Ihnen überlassen, sie dann anzuwenden. Meine erste Überlegung heißt: I. H2O oder die „Wasser des Vergessens“ Der Titel „H2O oder die Wasser des Vergessens“ ist ein Buchtitel, den 1987 Ivan Illich für die Darstellung eines ästhetischen Problems wählte. H2O ist natürlich Wasser seiner chemischen Definition nach. Die „Wasser des Vergessens“ deuten eine andere Auffassung von Wasser an, eine eher metaphorische. Man hat sich angewöhnt, die technisch-chemische Definition für „exakt“ und besonders wichtig und ästhetische Definitionen für unexakt und gelegentlich vernachlässigbar zu halten. Das ist sehr willkürlich, denn – um nur ein anderes Beispiel zu nennen - der Begriff „Weihwasser“, der einen ästhetisch numinosen Wert eines bestimmten Wassers bezeichnet, ist doch sicher keineswegs weniger „exakt“ als „H2O“. Die allgemeine Bevorzugung des naturwissenschaftlichen Verständnisses von Wasser ist eigentlich nur ein Zeichen für die allgemeine Schätzung von Technik und Naturwissenschaft. Doch gehen wir der Reihe nach vor: Ivan Illich bezieht sich in seinem schon erwähnten Buch auf einen Fall, in dem in der Stadt Michigan ein Stadtsee gebaut werden sollte. Ein Stadtsee verschönert nach landläufiger Auffassung den Raum der Stadt, macht ihn erholsam und angenehm. Für den Ästhetiktheoretiker konnte sich mit dem Plan dieses Sees jedoch eine interessante Frage verbinden, die damit zusammenhing, dass die Versorgung des neuen Stadtsees aus dem öffentlichen Wassernetz erfolgen sollte. Ivan Illich fragte damals, was für eine Art von „Stoff“ denn
das Wasser einer Großstadt sei. Eine eigenartige Frage,
gewiss. Aber nicht ohne Hintersinn. Sie zielt nämlich
ins Zentrum eines Gegensatzes, der Ihnen sicher bekannt vorkommt. – Also,
was für ein Stoff ist städtisches Wasser? Oder anders
gewendet. Ist denn jenes Wasser das durch Dampfheizungen, Abwasserkanäle,
Autowaschanlagen usw. läuft – abgesehen von seiner
chemischen Eigenschaft wirklich der gleiche „Stoff“,
wie Wasser in einem Gebirgsfluss,. Wasser in einem See oder
Wasser in einer Flasche, die wir aus Lourdes mitbringen? Stadtseen dienen nun aber der Erholung, wie wir wissen, der
Belebung unserer seelischen Kräfte. Vielleicht sitzen
wir auf Bänken, die zum Zweck des ästhetischen Genusses
an seinem Rand aufgestellt sind. Wir blicken über den
Stadtsee und freuen uns. Wir denken vielleicht an die ‚große’ Natur,
die uns in der glitzernden Wasserfläche symbolisch gegenübertritt.
Wir denken daran, dass Wasser eine Art heiligende Kraft hat,
dass es als Symbol für innere Reinheit steht, für
Gesundheit, Heil und Heilung. Vielleicht sind wir sogar ans
Meer erinnert, an das Sinnbild der Ewigkeit... Und wenn nun im Fall einer Unverträglichkeit – Sie mögen da Ihre eigenen Erfahrungen haben – heute traditionell eine Bevorzugung der technisch pragmatischen Perspektive stattfindet, wobei man dann hinterher vielleicht die Ästhetiker befragt, was sie denn auszusetzen hätten usf., so möchte ich dafür plädieren, dass dies keineswegs natürlich so ist. Es gäbe nämlich gelegentlich eine Reihe gute Begründungen für eine Bevorzugung ästhetischer Perspektiven und für eine Nachordnung der technischen, wenn man das Ästhetische nur wichtig und weit genug versteht. Nun fürchte ich aber, ich habe Sie vielleicht immer noch nicht vollständig überzeugt von der Nützlichkeit meiner Überlegung, denn Sie könnten ja sagen - Es stimmt schon, das Ästhetische einer solchen Anlage muss wirklich einen hohen Stellenwert haben – man muss nach Allianzmöglichkeiten zwischen technischen und ästhetischen Erfordernissen suchen und wer weiß, ist manchmal das ästhtische wirklich das Wichtige? – Aber da gibt es nun doch sicher viel gewichtigere Probleme, als womöglich über das Wasser in einem See zu reden und die Erinnerungen daran, woher es stammt. Da ginge es etwa darum, dass Lärm und Missgestalt, durch Zweckbauten verhunzte Blicke und hässliche Abfallhaufen den ästhetischen Reiz der Gegend vernichten. Dagegen muss man angehen, muss Menschen finden, die mehr sehen als andere, aber bitteschön, die bloße Erinnerung and die Herkunft von Wasser in einem Stadtsee? – Ich bin natürlich, wie Sie sich denken können, geradewegs
wieder gegenteiliger Ansicht. – Eine verbaute Aussicht
oder ein umher liegender Abfall, das finde ich nicht gar so
schlimm, man kann es ändern. Doch was am meisten wirkt,
sind am Ende vielleicht doch die Erinnerungen. Sie sehen, die Sache mit dem ästhetischen Gehalt des technischen Stoffes Wassers verfolgt uns, und ‚bloße’ Erinnerung kann sehr wohl Großes bewirken: „Dies ist der Baum, der einstmals auf einer kleinen Insel in jenem See stand, den Lady Craven so liebte .....“ Oder: – „Dies ist eine ehemalige Wildbret-Abschussanlage, in der ein paar hundert Hirsche im Kreis getrieben wurden, damit der Markgraf Joachim Ernst zu seinem und seines Hofes Vergnügen diese leichter abschießen konnte....“ - Sie bemerken, wie solche Erinnerungen bis heute wirken! Das „innerliche Vergnügen“ am Abschießen,
das Auslegen der „Strecke“, also der abgeschossenen
Tiere, die Lust am herrschaftlichen Aufgebot, den Fahnen den
Wimpeln, dem Hörnerschall und dem Treiben auf den Zuschauertribühnen,
das Publikum und der Hofstaat, der extra aus Ansbach angereist
war, das alles war ja selbst schon eine Erinnerung an Zeiten
in denen Herrscher sich kriegs- wie jagdtauglich zu präsentieren
hatten, und natürlich feierten sie mit ihren engeren Freunden
deshalb auch Blutfeste, deren Geruch wir akzeptieren müssen,
wenn wir uns mit einer Anlage wie Triesdorf beschäftigen. Nein, „Triesdorf“ ist - und es zeigt dies ja auch gerade in seiner völligen Durchmischung von gartenästhetischen Reizen und Bauresten, Obstbaumplantagen, Gebäuden und Straßen - sozusagen ein Freilichtmuseum von gut Gemeintem aus vielen Zeitströmen, das sich in Häufung und Kontrast und im Durcheinander und in den gegenseitigen Durchdringungen und Störungen und Absonderlichkeiten - und auch im ruinösen Zustand des einen oder anderen seiner Reste „atmosphärisch“ fast schon wie eine Stadt verhält. Auch dort trifft man ja an jedem Eck auf Zeugen unterschiedlichster Absichten, hellsichtige und engstirnige Pläne, ideale und zweckmäßige, tiefgebildete und erstaunlich oberflächliche Entwürfe von Raum, die alle zusammen einen abenteuerlichen Platz voller Geheimnisse bilden. Als ich „Triesdorf“ sah.... Und ich muss zugeben – nachdem
ich das berühmte Buch „Triesdorf in Weidenbach“ gelesen
hatte, erwartete ich zunächst, in ein Idyll zu kommen
in eine heile Welt, in einen Rest 18. Jh. über den die
Zeiten hinweggegangen waren und dass es zu erhalten und zu
verteidigen gälte. Auch der Fotograf war ausgesprochen
geschickt und hatte sozusagen den idealen Blick für die
Dinge, die das Störende draußen ließ. -....
Als ich also durch Triesdorf geführt wurde, hatte ich
ein eigenartiges Erlebnis. Ich hörte nämlich immer
wieder Sätze wie, „das müssen Sie sich so vorstellen“,
oder „das müssen Sie sich wegdenken“, und „hier
verlief die Rote Mauer, die man jetzt nicht mehr sieht“,
oder „hier hat man leider auch schon wieder eine Scheune
mitten in die einstige Blickflucht zum Hesselberg gesetzt,
und dort wo die Straße durch den Wall schneidet, stand
das Haus der Lady Craven...“ usf.. II. „Schöne“ Landschaft Meine zweite Überlegung fügt sich hier gewissermaßen locker an. Sie beginnt damit, dass ich Ihnen zwei typische Zitate vorlese. A) "...ein Flusstal, Wiesen, in Schichten aufsteigende Hügel, einer hinter dem anderen, von hellstem Grün ins Grünblau und schließlich in blaue Fernen wandernd. Der Fluss in Schleifen, Baumbestanden die Ufer... - Eine Frühlingsnacht auf der von Bäumen gesäumten Wiese. Über den Kronen wölbt sich der Himmel. Wie schwarze, unbegreifliche Schriftzeichen stehen die Äste der Eichen vor diesem Licht, und während der Mond scheint, erlöschen die Sterne. Ich suche den Schatten der Bäume, die dunklen Spuren der Pfade, ich nehme den Duft der Erde, von verfaulendem Laub, von Tod und Wiedergeburt wahr..." (Pückler-Muskau) B) „Landschaft kann im Grunde alles sein. Eine Straßenansicht in New York, eine Spielhalle, eine Fußballarena. Das neue Paris mit seinen Seine-Towers. Ist diese nicht eine schier unglaubliche Performance, eine landscape of power" ? (J. Kupfer) Zwei Perspektiven, die Landschaft zum Thema haben. Die traditionelle öffnet den Blick in die Landschaft des 18. Jh. und ist von Naturerleben her bestimmt. Sie redet von der Frühlingsnacht, von Bäumen und Fluss, von den noch kahlen Eichenästen, die sich wie eine geheime Schrift in den Himmel schreiben, vom Geruch nach Moder, Tod und Wiedergeburt. Das andere Notat redet davon, dass Landschaft „alles“ sein kann, auch eine technische Umgebung, eine New Yorker Straßenschlucht, eine Fußballarena - und dann kommt wieder eine Wendung ins Metaphysische, die Seine-Towers, also die großen Hochhäuser, die in den 80iger und 90iger Jahren die einst romantischen Kais zustellten, werden als Landscape of power bezeichnet, so als sei die Macht und Herrlichkeit der Menschen oder ihres urbanen Daseins in dem sichtbar, was sich da türmt. Fazit des zweiten Zitats wäre sozusagen: Alles ist Landschaft, auf den Blick kommt es an, der das Betreffende zur „Landschaft“ zusammensieht, auf die Rückbeziehung des Gesehenen auf ein Metaphysikum - „Landscape of power -” aber nicht mehr auf Natur. Ich weiß nicht, was Ihnen in den Sinn kommt, wenn Sie
Triesdorf als „Landschaft“ erleben. Ich meine damit
wohlgemerkt nicht die Triesdorfer Landschaft aus Wiesen und
Bergrücken, sondern die Landschaft Triesdorf. Also Triesdorf
selber als taktische, technische, landwirtschaftliche, parkplatzdurchzogene
teilweise hochrenovierte und teilweise ästhetisch verwahrloste „Landschaft“,
mit allen Erinnerungen vom Abknallen der Hirsche über
die esoterischen Gartenräume der Lady Craven bis zur Raumplanung
des Jahres 2000. Ich weiß nicht, ob Sie auch der Ansicht
sind – alles könne als „Landschaft“ betrachtet
werden, man bräuchte nur einen genügend forschen
Blick. Ich will mich einiger klassischer Literaturstellen bedienen,
nicht um sie zu beschwören, sondern um sie für mein
Argument zu nutzen. "Die Natur ist hier ganz außerordentlich schön - so wie ein edles, schönes Mädchen im Frühling, das alles anlacht und es selbst fühlt, daß es so glückseelig ist und stolz alles rund um sich her beglückseligt,...es ist als ob..Faunen und Nymphen und Götter des Himmels und des Meeres wie im trunkenen Tanze sich umschlingen, vereinigen und vermischen.." Diese Preisung der italienischen Landschaft stammt von Jakob Wilhelm Heinse aus dem Jahr 1787: Für Heinse ist Landschaft offenbar "schöne Natur". Als Beschreibung erhalten wir eine Anzahl Vergleiche: - "Mädchen im Frühling" , "beglückseligt" und "stolz"..., wir erhalten Hinweise auf Faunen und Nymphen, die sich im Tanze umschlingen und in dyonysischem Festrausch vereinigen. Eigenartig möchte man denken. Wo ist denn hier die "Landschaft"? Beschreibt Heinse ein einziges reales Ding, irgend ein Gebäude, einen Berg, eine Wiese, einen Fluß, einen Himmel? Landschaft ist in diesem Text also weniger ein geographischer Aspekt, oder irgend eine "Gegend", die betrachtet wird, es ist vor allem innere Landschaft, Landschaft der Seele und der inneren Vorstellungen, die dann wie eine Art Bühne bevölkert wird. Spüren wir Heinses Empfinden angesichts der italienischen Landschaft nach, so kommen wir zu dem Schluß: Die Seele des klassisch gebildeten Kenners der Antike ist es, die die die Nymphen und Faune enthält. „Landschaft“ ist für den Mann Heinse etwas, das an junge Mädchen im Frühling erinnert, ein vitales Empfinden, ein durch eine Mischung von Bildungsinhalten und Aussicht hergestelltes Seelisches Gesund-gefühl, das man heute als Wellness charakterisieren würde. Die Schwärmerei deutscher Intellektueller angesichts „Italiänischer Landschaft“ ist eine Art Hinweis auf glückendes Leben, auf dionysische Vereinigung aller Geschöpfe. Es geht ihnen dabei um Spüren, Fühlen, sich Sehnen, um einen lebensfestlichen Aspekt, der von außen an den Betrachter zu kommen scheint, also durch etwas, das er sieht, einen Blick ins Weite, in die sich seine Sehnsucht strecken kann, die Sehnsucht nach Erhoben- und Hinweggetragensein. Und tatsächlich entsprechen sich hierbei „innere“ und „äußere“ Landschaft vollkommen. - Folgend ein ganz anderes Beispiel. Hier wird anscheinend nur die äußere Landschaft geschildert. "Vor mir lag das ganze schöne Thal Enna, das den Fablern billig, so werth ist. Rechts und links griffen rund herum die hohen felsigen Bergketten, die es einschließen und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde gegenüber stand furchtbar der Ätna mit seinem beschneyten Haupte, von dessen Schädel die ewig lichte Rauchsäule in der reinen Luft emporstieg und sich langsam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunklen Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem Wasser. Jetzt stand er auf einmal ... in seiner ganzen furchtbaren Größe vor mir. ... Ich setzte mich unter einen alten Ölbaum, welcher der Athene Polias Ehre gemacht haben würde, auf die jungen wilden Hyazinthen nieder, und genoss eine Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Szenen der Natur. Der Text stammt von Johann Gottfried Seume aus seinem "Spaziergang nach Syrakus" – auch dieser von 1803. Vielleicht sind die geographischen Aspekte hier deutlicher, weil Seume lange Zeit seines Lebens Soldat war. Ich glaube aber, die Landschaftsbeschreibung ist bei ihm nur scheinbar eine Beschreibung des Äußeren, denn dieses „Äußere“ wird ganz im Spiegel einer empfindenden und denkenden Bildungsseele entfaltet: Wir sehen angesichts der Beschreibung so etwas wie ein Ölbild vor unserem inneren Auge, ein traditionelles Landschaftsgemälde: Im Vordergrund dunkel den Rücken des Betrachters, der in den Anblick des Tales von Enna versunken ist. Neben ihm ein Ölbaum, der mit seinem Ästen eine Art Bildrahmen ergibt und schließlich die Hyazinthen. "Landschaft" ist also vordergründig an der „Landschaft“ als dem traditionellen Prospekt einer Gegend orientiert und andererseits aber aus einem Selenhintergrund heraus geschildert, so dass sie gewissermaßen von selber als "Altvater", Göttin „Athene", oder als der Jüngling „Hyazinth“ erscheint. Es ist klar, sollte so jemand einen Garten anlegen, müsste dieser etwas von diesen eben augfezählten Korrespondenzen aus innerer und äußerer Landschschaft enthalten. Und wer von diesen metaphysischen und den Bildungselementen die da hineinverstrickt sind, nichts weiß, der kann natürlich der Ansicht sein, Landschaft könne auch eine Straßenschlucht in New York oder ein Spielplatz der Firma playmobil sein. Oberflächlich, wie gesagt, stimmt das ja auch. Im Hinblick auf das intime Spiel von Natur und Seele, das die Landschaft als „Schöne“ erfordert, muß man sich aber die Frage stellen, warum man aus der einen Landschaft – sagen wir dem berühmten „Playmobilland“ – nach einiger Zeit doch lieber wieder geht, während man sich nach der anderen Landschaft - sozusagen als Jungbrunnen der Seele - ewig sehnt. III. Triesdorfer Folgerungen Dieses alles könnte man nun irgendwie auf Triesdorf hinzwingen, was ich nicht tun will. Da Triesdorf aber eine „Lehr“ - anstalt ist, möchte ich noch auf ein Bild aus der Tradition weisen, wo auch etwas gelehrt wird – und zwar vorgeblich den Bauen einer Landschaft durch die Besitzer bzw. Gestalter dieser Landschaft tatsächlich aber etwas ganz anderes – nämlich das korrespondierende Verhältnis von innerer Landschaft und äußerer Landschaft. - Schlagen wir einmal Goethes „Wahlverwandschaften“ auf. Die Handlung des Romans spielt sich in einer ganz bestimmten "Landschaft" ab, in einer "Landschaft", die während die Romanhandlung spielt, zugleich geplant, angelegt und gärtnerisch gestaltet wird und die in ihrer Veränderung auch die Schicksale der Hauptfiguren beeinflusst. Es kommt sozusagen zu einer innigen Verschlingung von Landschaft und Leben der an der Landschaft bauenden Personen. Eines der beiden Paare, Eduard und Charlotte, baut in einem ziemlich großen und weitläufigen Gelände, wie man schon zu Anfang des Romans schnell bemerkt, wenn man hört, wie der Gärtner, der gerade mit einem Projekt zuende gekommen ist, seinem Herren Bericht erstattet. "Alles ist recht schön geworden und muß Euer
Gnaden gefallen. Man hat einen vortrefflichen Anblick: unten
das Dorf, ein wenig rechter Hand die Kirche, über deren
Turmspitze man fast hinwegsieht; gegenüber das Schloss
und die Gärten.... dann... öffnet sich rechts das
Tal, und man sieht über die reichen Baumwiesen in eine
heitere Ferne. Der Stieg die Felsen hinauf ist gar hübsch
angelegt. Die gnädige Frau versteht es; man arbeitet unter
ihr mit Vergnügen.".1 "...Dort hatten sich auf des Hauptmanns Veranlassung, die Bewohner vor ihren Häusern versammelt; sie standen nicht in Reihen, sondern familienweise natürlich gruppiert, teils, wie es der Abend forderte, beschäftigt, teils auf neuen Bänken ausruhend. Es ward ihnen zur angenehmen Pflicht gemacht, wenigstens jeden Sonntag und Festtag diese Reinlichkeit, diese Ordnung zu erneuern."2 Die Dorfbewohner, drapieren sich für ihre Herrschaft, nicht in Reih und Glied, sondern "natürlich", d.h. "familienweise", sie führen außerdem, wie wir lesen, Tätigkeiten vor, "wie der Abend es erfordert", wobei sie nicht einfach in Alltagskleidung, sondern frisch angezogen präsentieren. Die Landleute stellen also für die Schlossgesellschaft sozusagen "Feierabend", dar, eine „angenehme Pflicht“, die ihnen, wie wir hören, für Sonntags und Feiertags auferlegt ist, wobei sie sich so zu drapieren haben, als würden sie hier "natürlicherweise" jeden Abend im trauten Familienkreise auf Bänken sitzen und ruhen oder einer abendlichen Beschäftigung nachgehen, - (wir stellen uns Korbflechten oder etwas ähnlich Beschauliches vor). Die Welt ist in Ordnung. Der Landmann ruht im Kreis seiner Familie von der anstrengenden Tagesarbeit. Das Ziel: – ob ideologisch oder real gemeint: „Auch für den einfachen Landmenschen ist das Leben zuweilen ein Fest – auch wenn er dazu angeleitet werden muss. Er wird es schon noch merken....-.“ Es gibt Germanisten, die meinten, Goethe habe hier bewusst eine Karikatur geliefert, um die idyllische Landschaftspraxis seiner Zeit aufs Korn zu nehmen, die sich nicht um die soziale Wirklichkeit scherte und stattdessen eine ästhetische Performance harmonischer Bilder bevorzugte. Das glaube ich nicht. Ich würde eher sagen, er hat konkrete Vorbilder abgeschildert, die darauf hinausliefen, dass man der festen Überzeugung war, die Anlage eines großen Landschaftsparks und die Berücksichtigung der Natur würde gewissermaßen ästhetisch erziehen – und zwar zu einem gesellschaftlich idealen Dasein, dem die italienische Landschaftssehnsucht sozusagen den Weg gewiesen hatte: Dem jungen hugenottisch erzogenen Fürst Leopold Franz von Anhalt-Dessau, der zum Missfallen Friedrich II. aus der preußischen Armee austrat und lebenslang Pazifist blieb, verdankt Deutschland die Parklandschaft von Wörlitz. Diese war geplant und durchgeführt als mikroskopisches Sinnbild des Lebens, beeinflusst von den ästhetischen Prinzipien des englischen Parks und den Idealen der Aufklärung. Die in vierzig Jahren entstandenen Anlage sollte eine Musterschau für die ländliche Bevölkerung darstellen und sie erziehen. Romantische und wirtschaftliche Ziele, religiöse Gefühle und menschenfreundliche Absichten waren eng miteinander verwoben. Kunst und Erziehung, Unterricht und Armenpflege Ackerbau und Viehzucht. Es sei "wie wenn man durch einen Park ziehe", schrieb Goethe mit 34 Jahren an Charlotte von Stein, - "wie ein Märgen, das einem vorgetragen wird und hat ganz den Charakter der Elisischen Felder" Damit bin ich am Ende meiner Darstellung. Ich hoffe Ihnen Argumente dafür geliefert zu haben, dass ästhetische und technische Aspekte eines natürlichen Stoffes – Wasser aber auch von Triesdorf selber keineswegs bloß nebeneinander stehen, sondern dass sie sich berühren und durchdringen, dass sei einander helfen aber sich auch gegenseitig stören können und dass es wichtige gegenseitige Beeinflussungen des technischen und des Ästhetischen gibt. Andererseits hoffe ich gezeigt zu haben, dass das Ästhetische nicht einfach das Schöne ist, das man technisch herstellen kann, und zwar weil das Ästhetische eine Verwirklichung unserer innersten Sehnsucht und all unserer Sinne erfordern würde, die sich technisch eben nicht befriedigen lässt, sondern eben nur ästhetisch, d.h. im Hinblick auf unsere spürende Natur, die wir – aisthesis – erfahren wollen! Zuletzt ging ich auf Goethes Spuren und zeigte, wie der gebaute ästhetische Raum als Erziehungsraum auch ein politischer Hebel zur Umgestaltung der Welt werden kann - nach dem Motto, die wahre Ökologie ist in letzter Konsequenz keine technische, sondern eine ästhetische, denn der Mensch verlangt letztlich nach gelingendem Leben und nicht danach, ein Diener in einer technischen Veranstaltung zu sein. Inwieweit wir durch Gärten selber unsere sozialen Probleme
lösen, weiß ich nicht, aber ganz sicher lösen
wir sie durch eine gelegentliche Anwendung des Prinzips Garten.
Dieses Prinzip Garten, also die Überzeugung, dass „Landschaft“ letzten
Endes mit Natur und dem doppelten Naturverhältnis des
Menschen zu tun hat (dem technischnen und dem ästhetischen),
scheint mir einen Hinweis wert zu sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. |