|
||||||||||||||||||||||
Pappenheim – Fränkische
Grafschaft und Residenz Bei der Ursachensuche des deutschen Sonderwegs in die nationalstaatliche Katastrophe der beiden Weltkriege glaubten einige, durchaus namhafte Historiker bis vor kurzem, die Anfänge der zerstörerischen Expansionskraft in der Strukturschwäche des Alten Reiches suchen zu müssen. Dabei stützten sie sich auf die publizistische Polemik des 19. Jahrhunderts, unter der beispielsweise ein Johann Konrad Friedrich die Lage der Nation 1806 wie folgt einschätzte: Das Heilige Römische Reich war jetzt ein altes, baufälliges und morsches Gebäude, welches der erste Sturm zusammenstürzen musste, seine mehr als dreihundert Eigentümer – fränkische Reichsstände waren darunter – waren zum Teil gar komische und sonderbare Käuze, besonders die Duodezsouveränchen, von denen fast jeder in seinem Ländchen seine eigenen, oft sehr kostbaren Spielereien hatte. Die negative Einschätzung könnte auch auf die Grafschaft Pappenheim zugetroffen haben, wohin der zitierte Publizist aber – soweit wir das wissen – seinen Fuß nie setzte. Pappenheim war Teil des zu unrecht gescholtenen Alten Reiches. Die Grafen (seit 1628), denen im 12. Jahrhundert das Amt des Reichserbmarschalls (1123: Heinricus marscalus, ein Pappenheimer?) übertragen worden war, zählten am Ende zwar nicht zum Grafenkollegium im Reichstag, aber sie waren fest in der Reichsritterschaft verankert. Dort steuerten sie übrigens nicht zum fränkischen Ritterkanton Altmühl, sondern zum schwäbischen Kanton Kocher. Die Herrschaft Betrachten wir einige Aspekte dieser Grafschaft, deren Inhaber den direkten Bezug zum Reich stets politisch und rechtlich, insbesondere aber heraldisch (Bilder 1, 2) und symbolisch pfleg-ten. An dieser Beziehung änderte auch der unausweichliche Tod wenig, wenn die gräfliche Dy-nastie über repräsentative Grabmäler (Bilder 3, 4) aus Jura-Kalkstein im kollektiven Gedächtnis verankert blieb. Die Reichserbmarschälle Wolfgang II. (1535-1585) und Wilhelm IV. (1569-1621) stellen sich dieser Aufgabe in der evangelischen Stadtkirche bis heute. In voller Rittermontur und mit allen Attributen von Amt und Herrschaft stehen Vater und Sohn vor ihren Ahnenreihen.
Die Burg- und Stadtentwicklung Die Ersterwähnung des Ortes als Papinheim im Sualafeld fällt in das Jahr 802, als Besitz an das Bodenseekloster St. Gallen übertragen wurde. Die Siedlung nahm um das örtliche Galluskirchlein, einem karolingischen Gründungsbau des 9. Jahrhunderts, ihren Anfang. Am Pappenheimer Burg-berg, der als sicherer Ort das Altmühltal weit überragt, kann eine Bautätigkeit nicht vor der Zer-störung im Jahr 1028 nachgewiesen werden. Man darf dort aber eine zweite frühe Siedlung ver-muten. Die Burg der Marschälle entstand nach der Fehde Herzogs Ernst II. von Schwaben mit König Konrad II. (1024–1039) im frühen 11. Jahrhundert. In einer ersten Herrschaftsbeschreibung (1214/19) findet sich eine Aufnahme der bereits weitläufigen Anlage, die mit Burgfried (Thurn), Kapelle, Palas, Torbau und zugehöriger Ringmauer befestigt war. Die Vorburg und das starke Zwingersystem mit den beiden Pulvertürmen (Bild 5) und einer zur Nordseite vorgeschobenen Bastion (Affenstein) sind als jüngere Bauabschnitte seit dem 14. Jahrhundert hinzugekommen. Die eindrucksvollen „Kanonengänge“ (Bild 6) als bewehrte Verbindungen zwischen Burg und aufstre-bender Siedlung, wo man 1214 die Stadtrechte übertragen bekam, sind dagegen erst ein Werk des Spätmittelalters.
Die Burg stand in enger Beziehung zur Stadtsiedlung (Bild 7), der König Rudolf 1288 Weißenbur-ger Rechte verliehen hatte. Die Burg und das an der nordöstlichen Stadtmauer im 15./16. Jahr-hundert entstehende Neue Schloss – später „Altes Schloss“ genannt – waren im Verbund mit einer Verwaltungs- und Gerichtsstruktur aber auch politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der Herrschaft. Die Grafschaft (Bild 8), die in der Werkstatt der Homann’schen Erben 1738 als Nova Comitatus Pappenheimensis Tabula in Kupfer gestochen wurde, blieb bescheiden. 1806 umfasste sie immerhin Besitz in vierzig Orten – darunter waren 13 Pfarrdörfer – und im Zentrum Pappenheim selbst. Insgesamt zählte man fast 1000 Häuser, in denen 7117 Christen und 186 Juden lebten. Die Jahreseinnahmen wurden damals ohne Judenschutz auf 75.000 Gulden geschätzt. Ihnen standen in Kriegsfolge aber Schulden von 385.789 Gulden gegenüber. Die Inbesitznahme Pappenheims war für Bayern, so gesehen, zunächst kein gutes Geschäft.
Die Erbmarschälle Die
Stadtentwicklung hing eng am Amt der Erbmarschälle. Als im Jahr
1334 Kaiser Ludwig der Bayer den Pappenheimern ihre Rechte bestätigte,
erwähnte er insbesondere das Amt des Reichs-erbmarschalls. Doch
woher kam dieses Amt, das für die Inhaber die wichtige Nähe zum
König
und zum Reich brachte? Reichsmarschälle sind seit dem 12. Jahrhundert
belegt. Pappenheimer sind unter ihnen nicht vor 1111 zu vermuten. Jetzt
tauchten im Gefolge König Heinrichs V. adelige Namensvettern auf
und 1123 erschien ein Heinricus als Marscalus. In Pappen-heimer
Stammtafeln führte man ihn als Heinrich I. (1123–1138). Er trug
den Beinamen caput oder cum capite. Der Haushistoriker
Haupt Graf zu Pappenheim nannte
ihn im zweiten Band seiner Geschichte früher Marschälle „den
ersten greifbaren Stammvater des Pappenheimischen Hauses.“ Der Beiname
caput – als „Haupt“ auch als Vorname geführt – ging
auf ältere Siegelvorbilder zurück, die später, zum „Mohrenkopf“ gedeutet,
Eingang in das Herrschaftswappen fanden. Das Marschallsamt war mit Quartierlasten
vor Reichs-, Krönungs- und Wahltagen verbunden, doch ergaben sich
daraus finanzielle Entschädigungen. Hierzu zählten weitreichende
Judenprivilegien, die zu einer namhaften Judenansiedlung (Bild 9) in
der Grafschaft führten. Auch kann die Erhe-bung Pappenheims zur Grafschaft
1628 neben den persönlichen Verdiensten Gottfried Heinrichs (1594–1632)
im Dreißigjährigen Krieg als des Kaisers bester Degen (Bild
10) durchaus als Kom-pensation für die teuren Marschallsdienste
gesehen werden.
Die Hofhaltung In der fränkischen Grafschaft war man nicht nur wegen
der Reichsnähe
auch an einer guten Hof-haltung interessiert. Über sie sind wir für
die Barockzeit über Rechnungen gut informiert. Küche und Kellerei
gaben mit Belegen vom Kaminfegen bis hin zum Einkauf exquisiter Speisen
und Wei-ne Aufschluss über das höfische Spektrum, das die Instruktionen
der Kammer- und Hofdiener ergänzten. Einige Beispiele sollen genügen:
1724 erhielt eine Zinngießerei in Frankfurt/Main Aufträge für
den gräflichen Hof. 1767 führte man Korrespondenz mit Regensburg
wegen des teuren Transports eines piano forte nach Pappenheim.
In den 1770/80er Jahren gingen in Frank-furter Kontoren zahlreiche Bestellungen
aus Pappenheim
ein für Champagner, Port- und Malaga-weine. Auch edle Kau- und Schnupftabake
kaufte man vorzugsweise in Frankfurt, deren Händler man anlässlich
der Königswahlen über das Marschallsamt kannte. 1779 wurde Malagawein über
die Hansestadt Bremen importiert und aus Ansbach orderte man ein passendes
Tafelservice mit Gläsern. Später folgten Weintransporte süßer
Sorten aus Ungarn. Die Hofhaltung verblasste auch im 19. Jahrhundert nicht
so recht. Völlig ungewöhnlich für die Zeit ließ 1819/20
Graf Karl Theodor Friedrich von Pappenheim nach Plänen des bekannten,
kgl. bayerischen Bauintendanten Leopold von Klenze (1784–1864) vor
Ort ein weiteres Schloss errichten: das klassizistische Neue Schloss (Bild
11). Die Bauleitung übertrug man dem Domänenrat Metzger,
der sich als Schüler Klenzes einen Namen gemacht hatte. Die zur Stadt
gewandte breite Fassade mit Fensterachsen und vorspringendem Mittelpavillon – die
Vorbilder lagen in toskanischer Renaissancearchitektur – ziert bis
heute im Giebel ein für die kleine Herrschaft zu groß dimensioniertes
Wappen. Bild 11: Das Neue Schloss, Foto: Autor.
|
||||||||||||||||||||||